SYMPOSIUM ANLÄSSLICH DES 70. GEBURTSTAGES VON JOACHIM KÜCHENHOFF

von DPG

SYMPOSIUM ANLÄSSLICH DES 70. GEBURTSTAGES VON JOACHIM KÜCHENHOFF

AM 8. SEPTEMBER 2023 IN BASEL

ZEITERLEBEN ZWISCHEN ERINNERUNG UND HOFFNUNG; PSYCHOANALYTISCHE UND PHILOSOPHISCHE PERSPEKTIVEN

„Es ist mir eine Ehre!“. Dies war ein häufig ausgesprochener Satz der Referenten und Referentinnen, die zum 70. Geburtstagsjubiläum von Joachim Küchenhoff vortrugen. „Wir haben die Ehre“ - ebenfalls ein tragendes Gefühl der zahlreichen Gäste, die sich an einem herrlichen Spätsommertag in dem wunderbaren Ambiente des Wildt`schen Stadthauses am Petersplatz in Basel zu diesem Anlass zusammenfanden. 

Allerdings, - ob dem Jubilar dieses schmückende, veredelnde Attribut selbst überhaupt so wichtig ist? Mit seiner freundlichen und eher zurückhaltenden Präsenz sind Joachim Küchenhoff`s Spuren nicht durch Gewicht und imposantes Auftreten hinterlassene Abdrücke. Vielmehr verwebt er leichte, bewegliche und dennoch haltbare Fäden zwischen der Vielzahl der Menschen mit denen er gearbeitet hat und arbeitet. Er schafft Verbindungen in einer erstaunlichen Vielfalt von Themen, die er durchdrungen und miteinander in Beziehung gesetzt hat. Er baut Brücken zwischen verschiedenen Disziplinen und nachfolgenden Generationen. Er sucht unermüdlich empathische Wege, mit denen er selbst die schwierigsten Patienten in ihren Nöten erreichen kann. Er schafft es, durch seine präzise Sprache und seinen Kenntnisreichtum die verwickeltsten Gedankengänge geschickt und nachvollziehbar neu aufzuspannen. Ein Mensch, der sein Gegenüber nicht nur beein-druckt sondern vor allem bereichert zurücklässt, - jemand, der über ein so umfangreiches Wissen verfügt, das er es mit großer Freude und genüsslich zu teilen vermag. Daher verwunderte es nicht, dass ein weiterer roter Faden sich auf wertvolle, gemeinsame Erinnerungen, kollegiale und persönliche Freundschaft und geteilte Wegesstrecken bezog, auf die mit Dankbarkeit zurückgeschaut wurde. Es hätten sich wohl alle gerne an einen Tisch gesetzt, gefeiert, gegessen, diskutiert und ausgetauscht. Aber: Rahmen und Realität rufen die Fähigkeit zur Symbolisierung und Sublimierung auf den Plan! Und dieserart wurde allen Beteiligten ein anderweitig genussvolles, mehrgängiges, intellektuelles Gourmetmenü kredenzt:

Unter Beteiligung der drei psychoanalytischen Institute Basels, des Ausbildungszentrums für Psychoanalytische Psychotherapie (AZPP) des Psychoanalytischen Seminars Basel, (PSB, SGPsa) und des Psychoanalytischen Instituts Base (PIB) war dieses Symposium mit dem Titel „ZEITERLEBEN ZWISCHEN ERINNERUNG UND HOFFNUNG“ zustande gekommen. Regine Mahrer (DPG/IPA) hat es mit Sorgfalt und Bedacht federführend organisiert und auch die einführenden Worte übernommen. Ihre einleitende Rede lud ein, die Stationen der eindrücklichen Karriere von Joachim Küchenhoff (DPV, SGPsa, IPA) gemeinsam aufzusuchen: Vom Studium der Philosophie und der Medizin über leitende Funktionen in klinischen Institutionen, Lehrtätigkeiten, Ämter in regionalen und überregionalen Kommissionen, bis zum wissenschaftlichen und klinischen Eindringen in noch unergründete Regionen der Arbeit mit Patienten im Grenzgebiet der Behandelbarkeit. Zudem Professuren (Universität Basel, IPU Berlin) und natürlich eine imposante Liste von Publikationen. Regine Mahrers Umriss zu seiner Arbeit mit psychotischen Menschen oder zur Verständnissuche im Feld der Psychosomatik skizzierte die zutiefst humane und immer forschend-respektvolle Haltung, mit der Joachim Küchenhoff ein Vorbild geworden ist. Sie zeichnete aber auch die gemeinsam erlebten persönlichen Linien nach und vermittelte uns dadurch eine appetitanregende Vorspeise: Wie es ist, mit einem Küchenhoff lernen und arbeiten zu dürfen! Wachsen und teilhaben zu können, sodass daraus gemeinsame Erfahrungsgebiete im immer lebendigen Austausch entstehen. So, z. Bsp. das geteilte Interesse an Erinnerungskultur oder dem neugierigen Erkunden von Randbezirken der Psychoanalyse, die sich mit Literatur, Kunst, Philosophie und Politik verbinden. 

Colette Pfistner (AZPP und Ausbildungskandidatin SGPsa) übernahm in charmanter und gekonnter Weise die Moderation durch die gesamte Veranstaltung. So konnte Mark Fellmann (Psychoanalytisches Seminar Basel) mit Überlegungen zum „Erinnern und Vergessen: Die psychoanalytische Arbeit“ fortfahren. 

Dabei servierte er einen „solid ground“ Freud`schen Wissens. Unabdingbare Grundlagen wurden den Gästen in Erinnerung gerufen und weitergedacht: Erinnern, Spuren, Schichten, Vergessen und deren Verhältnis und Beziehung zur Verdrängung. Wie geht das, eine genuine psychoanalytische Sichtweise und Ergründung der Kategorie „Gedächtnis“ unter der Wirkung des immer präsenten, wirksamen Unbewussten? Wie passt das zu den klinischen Phänomenen? Was, wenn es zwischen Analytiker und Analysand hochkocht und dies sich nicht so recht in die chronologische Abfolge von `Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten` einreihen möchte? Welche Zutat braucht es zum Verständnis? Wie zeigt sich das `Nicht-Repräsentierbare´? Als geheim-verrücktes Tete a Tete in der Dunkelkammer? A la André Green?

Zur Ergänzung trug das Koreferat von Rolf Peter Warsitz (DPV, Alexander Mitscherlich Institut Kassel) bei. In Referenz zu Thomas Ogden streute er eine Prise Dialektik in`s Geschehen ein. Der Quirl dreht sich nicht nur in eine Richtung, sondern sowohl nach rechts und nach links. Ist es noch ein bisschen komplizierter? Ist das Nicht-Repräsentierte doch eigentlich nicht Nichts, sondern ein Etwas? Ein Rest der Abwesenheit? Da und nicht da zugleich? Bedeutet das Nicht-Repräsentierbare in der Erinnerung vielleicht ein anders Repräsentiertes, körperliches Eingeschriebenes, etwas kategorial Verschiedenes? Gibt es eine Erinnerung ohne Gedächtnis oder hat es eine andere Form? 

Philipp Stoellger (Professor für Dogmatik und Religionsphilosophie, Universität Heidelberg) entführte anschließend die Zuhörer und Zuhörerinnen mit seinem Vortrag „Fromme Wünsche oder Wie dürfen wir hoffen?“ in eine exotisch anmutende kulinarische Region. In einem Religions- und theologiegeschichtlichen Diskurs tischte er mit einem fulminanten Sprachzauber auf: 

Apokalyptik, Gnosis, Eschatologie und Messianik als Muster von Zukunftsnarrativen, die verschiedene Weisen der Hoffnung und Zeiterfahrung determinieren. Wie wir die Zukunft deuten, verleiht unseren Lebensformen eine unterschiedliche Koloratur, so Stoellger, wobei er besonders die verhängnisvollen Wirkkräfte des Apokalyptischen in seinem Verführungspotential hervorhob und mit dem eher „trockenen Brot“ der Eschatologie kontrastierte. Eine haute cuisine der Denkakrobatik wurde den Zuhörern und Zuhörerinnen in diesem Vortrag zuteil. Nicht immer waren die komplexen Sprachfiguren in der Schnelligkeit auf Anhieb zu verdauen – in jedem Falle jedoch ein rhetorischer Hochgenuss. Den einen oder anderen Gourmethappen konnten die Zuhörer sich herauspicken und genüsslich auf der psychoanalytischen Zunge zergehen lassen. Zum Beispiel, wenn Stoellger die Vitalität der radikalen Eschatologie anband an „die Notwendigkeit das Möglichwerden von Unmöglichen und die Zugänglichkeit von bisher Unzugänglichem zu behaupten“. Und wenn er forderte „mehr zu imaginieren als derzeit real möglich erscheint“. Das Leiden an und das Ertragen-Müssen der „Gleichgültigkeit der Welt“ skizzierte den gemeinsamen gedanklichen Begegnungsraum zwischen Joachim Küchenhoff und Philipp Stoellger und verdeutlichte nochmals die Ergiebigkeit, die sich aus dem gegenseitigen Bereichern verschiedener geisteswissenschaftlicher Disziplinen ergibt. Eine Vorlage dafür, wie denn darauf zu hoffen sei, dass es gelänge „die Zukunft zu erfinden“. . .

Emil Angehrn (ehemaliger Professor für Philosophie in Heidelberg und in Basel) vertiefte in seinem Koreferat einen Seitenstrang. Indem er das Messianische als das Hoffen auf etwas „Auf-uns-Zukommendes“ mit dem Gedanken der Sozialität verband, fügte er der Raffinesse des bereits Gesagten einen emotionalen Aspekt hinzu. Affirmative Zukunft ist die „mir von anderen geschenkte, durch den Anderen eröffnete Zeit“, so Angehrn, womit er einen empathischen, zwischenmenschlichen Zukunftsbezug herstellte. Der abstrakt gedachte Zukunftshorizont erhielt dadurch einen affektiven Butteraufstrich. Vielleicht die Butter, die im Verhältnis der Generationen zueinander, derzeit den Jüngeren so leichtfertig vom Brot genommen wird? Hierdurch eröffneten sich gedanklich weitere wichtige Verbindungen mit Joachim Küchenhoff´s aktuellen Überlegungen zum Klimawandel. Diese hatte er bspw. im Juni 2023 in Basel im Rahmen eines Kolloquiums des AZPP zusammen mit Boris Previsic, Professor für Literatur- und Kulturwissenschaften vorgestellt. 

Der letzte Vortrag von Jana Lucas (Kunsthistorikerin, Philosophin und Medienwissenschaftlerin, Basel) rundete den Reigen der reichhaltigen Reden ab. Obwohl von den vielen Gedanken bereits gesättigt, verführte sie das Publikum am Ende dazu, noch einmal ganz anders über den Tellerrand zu schauen und „zwischen Augenblick und Ewigkeit“ zu verweilen. In der Kunst tickt die Zeit anders. Das präsentierte Jana Lucas mit einer Promenade durch die Kunstgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, indem sie ausgewählte Werke bildlich über das sprechen ließ, was so schwer mit Worten einzuholen ist. Da ließ sich Zeit und Zeitgefühl ganz anschaulich erfahrbar machen und goutieren, in Bildern von der Gallus Pforte am Basler Münster oder mit Fotos von Marina Abramovic`s Performance „The artist is present“. Und so legte sich ein angenehmes abschließendes und umfassendes Aroma über diesen Tag - zu Ehren von Joachim Küchenhoff. Es hat uns allen gemundet und wir hoffen natürlich: Ihm auch!

Susanne Kita , Schopfheim, 19.Oktober 2023

Zurück